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ÜNH - Überlandwerke Nord-Hannover
(späterer Zusatztitel: Das Haus ohne Inneres),
1987. Winterversion: 2010.
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A3, Polychromo, Bleistift, Radierung, Digital.
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Dieses
ÜNH-Travo-Häuschen stand um 1980 - oder steht heute noch - am
Ortsrand von Bassen, an der B75 Richtung Oyten.
Ende der 70er / Anfang der 80er fuhr ich im Auto
meiner Eltern häufig die Strecke Ottersberg-Bremen durch
Bassen hindurch. Auf eigentümliche Weise beeindruckte mich bei
Nachtfahrten
immer dieses kryptische "ÜNH", das auf dem
Umspannturm bläulich aus der Dunkelheit regelrecht
eindringlich herauszuglühen schien.
Denn als Kind, so im Alter von 6 Jahren, träumte
ich einmal nachts, ich ginge durch eine Tür in einen absolut
dunklen, pechschwarzen Raum. In der Mitte des Raumes, also
inmitten der
Dunkelheit gleisste plötzlich grell ein Wesen aus
blauem Licht auf, dem ich nun direkt gegenüber stand (soweit
ich mich erinnere sass es dazu wohl auf einer Art Thron).
Ein grelles, blaues Licht, so stechend wie die
Flamme eines Schweissbrenners. Und von einer solchen Präsenz
und einer alles durchdringenden Macht, die mich ganz und gar
erstarren
liess! Alle meine Reflexe waren gelähmt, selbst
Sprechen oder Schreien war nicht mehr möglich, es war das
völlige Ausgeliefertsein gegenüber diesem unendlich fremden,
regelrecht
ausserirdischen Wesen, das aus purer, dichter
Lichtkonzentration bestand, mich mit seiner Intensität völlig
durchdrang und der pure Anblick dessen mich erstarren und
versteinern liess.
Es gibt in der physikalischen Realität ein
solches, für uns sichtbares bläuliches Leuchten, die sog. Cherenkov-Strahlung,
die entsteht, wenn geladene
Teilchen sich in einem Medium
schnelller bewegen als das Licht sich innerhlab
dieses Mediums bewegt.
Rein psychologisch wiederum kann man
ein solches Leuchtwesen im Traum z.B. als Konfrontation mit
dem "inneren Hüter der Schwelle" deuten, andererseits in
dieser so extrem
stechenden Form auch als eine Metapher für das
"komprimierte Böse" sehen - und so empfand ich es auch im
Traum.
Später, um 1990, beim Lesen einer Geschichte von
Michael Ende, stiess ich wieder auf dieses Licht. In der
Geschichte "Das Haus ohne Inneres" beschreibt Ende ein
entlegendes, recht-
winkliges Haus, was zwar vier Wände und eine Tür
auf jeder Seite besitzt, aber wohl eben keinen Innenraum, denn
von aussen leuchtet aus dem vermeintlichen Inneren heraus nur
dieses
stechend blaue Licht "wie die Flamme eines
Schweissbrenners". In der Geschichte erzählt ein Mann, wie er
als Kind zufällig zu diesem Haus gelangte und wie er
beobachtete, dass zum
Ende des zweiten Weltkrieges die verantwortlichen
Nazigrössen in diesem Haus verschwanden. Sein
eigenes, versuchsweises Betreten des Hauses führte hingegen
nur zum sofortigen
Wiederaustritt auf der anderen Seite. Der
Protagonist versuchte also insgesamt dem Geheimnis dieses
Hauses auf die Spur zu kommen.
Die abschliessend geschilderte Erkenntnis lautet:
"Will man dem Geheimnis des Bösen auf die Spur kommen, so wird
man feststellen, dass das Böse gar kein Geheimnis hat! Es
offenbart
sich schlicht als Teil der Alltagsbanalität."
Ende beschreibt hier quasi - bewusst oder unbewusst - den
Werdegang und den Erkenntnisgewinn bezüglich des
Forschungsgebietes von
Hannah Arendt mit ihrer, aus eben jener Forschung
resultierenden, berühmten Aussage "Die Banalität des Bösen".
Diese ÜNH-Leuchtschrift in Bassen erinnerte mich
in seiner eindringlichen Bläulichkeit immer an jenen Traum,
sodass ich 1987 das dabei erlebte Gefühl in Form des
Leuchtschrift-Lichtes
zeichnen wollte bzw. versuchen wollte, es dadurch
zum Ausdruck zu bringen. Die
Leuchtschrift selbst war zwar ziemlich klein (im Verhältnis
also nicht so gross wie auf der Zeichnung),
was aber an der Wirkung des Lichtes in der
Dunkelheit nichts änderte.
Eine weitere
Annekdote dazu ist, dass in den jetzigen 10er-Jahren der
Publizist H.M.Broder mal in einem Artikel erwähnte, dass er
Michael Endes surreale Kurzgeschichten gelesen hatte,
woraufhin ich einen Beitrag von ihm - im
inhaltlichen Kontext irgendwie passend - kommentierte mit der
Erwähnung dieser Ende-Geschichte "Das Haus ohne Inneres". So
etwa drei Tage
später
sah ich Broder dann in einem
Welt-Studio-Interview die EU-Politik o.ä. kommentieren mit dem
abschliessenden Fazit: Das ganze politische Konstrukt sei ein
"Kartenhaus ohne Ausgang".
Ich weiss nicht, ob er damit aktuellen Bezug auf
meinen Kommentar nahm - ob er ihn überhaupt gelesen hatte -
oder ob seine Definition zeitlicher Zufall zu meinen
Gedankengängen war.
Jedenfalls zeigt es, dass diese Metapher "Haus
ohne Inneres" nach wie vor hochaktuell ist!
Wie nun die bläuliche Lichterscheinung - die
zweifelsfrei das komprimierte Böse darstellen soll - von
Michael Ende erklärt und begründet worden wäre, hätte ich
gerne erfahren, aber das
blieb wiederum sein Geheimnis. Es sei denn, man
erklärt es sich eben - wiederum im übertragenden Sinne -
damit, dass sich hier eben die "geladenen Teilchen" schneller
als das von ihnen
ausgehende Licht durchs Medium bewegen (quasi der
"Überschallknall" oder der "Plasma-Aggregatszustand" als
Übergang in eine grundlegend andere Dimension der Verhältnisse
und
Verhältnismässigkeiten).
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