Linie 58

Ostberlin / DDR,  Mo. 8. Januar 1990.
Streckenverlauf:  Falkenberg - Weissensee - Mitte - Hackescher Markt.
(Etwa zu vergleichen mit der heutigen - 2009 - Linie M4).

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Historisches: Nicht weniger als der gesamte Staat! Gleistechnisch gibt es heute das Vorsortiergleis am Antonplatz nicht mehr, sowie die Mehrgleisigkeit in der Mollstrasse nicht.
Dort gab es an einer kurzen Stelle sogar fünf Parallelgleise, die beiden äusseren Gleise wohl als Ausweichshalt für Arbeitswagen o.ä. (Im Film gut zu sehen).
Am geilsten waren in den Bahnen die "Fahrkartenautomaten"! Es waren einfache Blechboxen mit Schlitz - und an der Seite der Box eine Kurbel mit 'ner Endlosrolle Papierkarten dran (ähnlich einer Klorolle). Kurbelte man, so kamen die Fahrkarten als Steifen heraus. Je länger man kurbelte, desto länger wurde ergo der Kartenstreifen der heraus kam. Man konnte sich dann so viele Karten herauskurbeln und abreissen wie man lustig war! Mit etwaigem Geldeinwurfin den Kasten hatte das Kurbeln absolut nichts zu tun. Das System basierte eben auf sozialistische Selbstbestimmung nach dem Motto: "Ich zahl' immer soviel, wie mir die Fahrt grad' wert ist".  Sozusagen "Open-Source-ÖPNV" mit Spenden-Aufforderung. ;)
Im Film hört man gut das Klötern der Münzen, die durch den Schlitz direkt auf den Boden bzw. auf die anderen Münzen in der Blechbox fallen.
Der Linienverlauf der 58 wird heute nicht mehr exakt bedient, stattdessen fährt die M4 heute von Falkenberg aus über den Alexanderplatz und von dort an die südöstliche Seite des Hackeschen Marktes heran. Die Strecke durch die Alte- und Neue Schönhauser Strasse wird, seit Inbetriebnahme der parallel durch die Karl-Liebknecht-Strasse führenden Neubaustrecke "Alex II", nicht mehr im regulären Linienverkehr bedient.
Die Bebauung entlang der Strecke ist heute selbstverständlich auch komplett anders! Z.B. ist der grosse Plattenbau-Block Mollstr. / Ecke Otto-Braun-Str. abgerissen. Heute weltweit selten geworden, quasi nur noch in Nordkorea zu finden: Ein völlig werbeplakatfreies Stadtbild!


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Persönliche Eindrücke meiner damaligen "Ost-Reise" / Umstände des 8. Januars 1990

Obwohl schon im November '89 die Mauer fiel, war die DDR bis zum 3. Oktober 1990 dennoch ein eigener Staat. Und es war nun - zum ersten Mal in der Geschichte der DDR - einfacher für DDR-Bürger in den Westen zu reisen, als für West-Bürger in den Osten! Als Westdeutscher - also mit westdeutschem Pass - konnte man zu Mauerzeiten von Westberlin aus jederzeit spontan nach Ostberlin einreisen. Für 25,- Mark Eintritt, man durfte sich aber nur bis 24:00 Uhr des gleichen Tages innerhalb der Stadtgrenzen Ostberlins bewegen. Der umgangssprachliche Begriff "Eintritt" resultierte aus dem Umtauschzwang von mindestens 25 DM West in 25 DM Ost. Bei der Ausreise wurde nichts zurückgewechselt, auch mitnehmen durfte man kein Restgeld. Man musste es also während des Aufenthaltes zwangsweise ausgeben, wenn man einen Nutzen davon haben wollte. Der Umtauschzwang wurde immerhin am 24.12.1989 abgeschafft, andererseits galt er eben noch bis zu jenem Tag für die, in die DDR einreisenden Westbürger, trotz freizügiger Maueröffnung bereits am 9.Nov.'89.

Als Westberliner - also als Inhaber eines sog. "Behelfsmässigen Personalausweises" - durfte man bis zur Wende gar nicht nach Ostberlin einreisen! Bzw. nur mittels langwöchigen Visa-Anträgen. Der Vorteil Westberliner zu sein, lag aber immerhin darin, als junger Mann nicht vom Wehrdienst erfasst zu werden! Ein Berliner brauchte also weder Zivil- noch Wehrpflicht ableisten, da die Berliner aufgrund ihres Sonderstatus schlicht nicht erfasst wurden.
So hatte ich nun seit etwa 1987 meine Meldeadresse und 1.Wohnsitz in Berlin. Als in der Schule im Jahr 1988 es in der 9. Klasse so langsam unter den Jungs Thema wurde, ob man Zivi machen wollte, oder Dienst, da beneidete mich natürlich so mancher ob meines Desinteresses an jenrm Thema. Dann fiel 1989 die Mauer...natürlich...war ja nicht anders zu erwarten...logisch...war ja klar...!! Nun wurde also auch ich erfasst, die Anderen konnten "ätsch" sagen.

Jedenfalls hatte ich nun also im Januar 1990 einen westberliner Ausweis - und wollte jetzt mal rüber. Ich wusste nicht, ob das mit dem Ausweis-Unterschied zwischen Wessi und Berliner noch galt. Aber das war kein Problem mehr. Immerhin war ich 1984 schon mal mit meiner Mutter drüben gewesen, kannte mich also ein ganz klein wenig aus, dennoch war mir mit 16 durchaus etwas mulmig, in ein so fremdes Mangelwirtschaft-Land einzureisen, in dem bisher noch Menschen überall gegängelt, eingesperrt und erschossen wurden...

Ich wählte den Übergang "S-Bahnhof Friedrichstrasse" (nicht alle neuen Übergänge waren derzeit auch für Wessis, bzw. für West-nach-Ost offen).
Erst dachte ich, ich komme locker durch, wenn ich versuche einen fröhlichen, sozialistischen Eindruck zu machen... und am Anfang lief auch alles noch gut. Dann winkte mich in irgend einem der ganzen Zwischen- und Verbindungsgänge der Übergangsstelle plötzlich ein Grenzposten raus, brachte mich eine karge Kabine und nach einer Weile, in der erst mal gar nichts passierte und sich niemand um mich kümmerte, wurde ich dann durchsucht und befragt: Warum ich einreisen will, was ich vorhabe dort zu machen - vor allem wegen der
Videokamera. Kurze Antworten meinerseits - und die Wende zwei Monate vorher sprach ja nun auch durchaus etwas für meine Meinung und Ansichten der Dinge!
Dennoch wurden meine 8-mm Tapes mitgenommen und angeschaut, was drauf war. Ich wunderte mich, dass die überhaupt schon Abspielgeräte für dieses Sony-System besassen! Vielleicht hatten sie auch gar keins und taten nur so. Gleichzeitig hoffte ich, dass da nichts "Unanständiges" drauf war, denn meine Aufnahmekassetten waren selten leer, sondern zuhause vorher meist lange im Einsatz bei TV-Aufnahmen und allerlei Cam- und Kopierexperimenten. Die eine war glücklicher Weise leer, weil neu, auf der anderen befand sich ein Peanuts-Spielfilm, den ich mir an den Weihnachtsfeiertagen aus einem Privatsender aufgenommen und angeschaut hatte. Der Grenzer fragte, nachdem er wiederkam: "Kabelfernsehen, was??" Ich entgegnete: "Joa, hamm wa alle!" Er: "Alle??" Ich: "Ja, fast überall zu kriegen, kommt bestimmt bald auch hier an".
Der Grenzer bekam euphorische Augen - und nachdem dann noch meine Taschentücherpackung zum Röntgen (!) gebracht wurde, gestatte man mir endlich einzureisen ins Land der äusserst unbegrenzten Möglichkeiten...

Es erwartete mich ein Stadtbild in durchgesättigtem und alles ganz und gar übergreifendem GRAU!
Freches, monotones Steingrau wechselte zu beruhigend kahlem Zementgrau, hin und wieder gar zu nachdenklichem Aschgrau. Die Luft hingegen farbig durchmischt mit noch morgendlichem Schwefelgelb, mit flockigem Braunkohle-Ocker und nicht selten dazu mit poetisch hingetupftem Zweitakt-Abgas-Blau, sich am gleichmässig geschwärzten Anthrazit der Fassaden kontrastreich abhebend...

Glücklicher Weise ist die Zeit jener Apokalypse 20 Jahre vorbei! Und wenn erstmal die Autos alle elektrisch fahren, ja wenn sogar vom Blätterpuster bis zum LKW alles elektrisch betrieben wird, wenn auch die Schornsteine der Häuserheizungen nicht mehr qualmen, weil deren Wärme nicht mehr durch fossile Brennstoffe, sondern durch regenerativen Strom, d.h. besser natürlich durch Kernkraft, am allerbesten durch Kernfusion, erzeugt wird, dann, ja dann bekommen wir bald eine Luftqualität nahezu wie in Lappland! Schon heute ist  in Deutschland die Luft und Sicht deutlich aufgeklart, gegenüber den 70er bis 80er Jahren, wie ich zu beobachten meine.
Ist ja auch logisch - der Schadstoffausstoss des damaligen komplett sozialistisch-verwarlosten Ost-Europas, oder eben überhaupt nur der Ausstoss von ungefilterten Automotoren als solchen, war ja nicht mehr feierlich.

Jedenfalls denke ich noch heute, in Anbetracht von DDR- (und natürlich auch Kriegs-) Aufnahmen:  Wie schafft man es nur, ein Land samt Ökosystem, samt Grundversorgung und Kultur, ja samt der Würde der Menschen so herunterzuwirtschaften!? Erstrebenswert, es nicht wieder soweit kommen zu lassen! Nachtrag 2011: Es scheint heute, im Jahre 2011 durchaus wohl leider wieder im Bereich des Möglichen zu liegen, dass es in einzelnen Ländern oder Kulturkreisen wieder zur Herunterwirtschaftung einstiger zivilisatorischer Errungenschaften kommt... Nochmals Nachtrag im Jahre 2021: Tatsächlich wird immer mehr deutlich: Den planwirtschaftlichen Verbots-Sozialismus in seinem grün-roten Lauf, halten weder Ochs noch Esel - und hält leider auch sonst niemand auf! :(

Eigentlich wollte ich noch mehr Linien im Osten aufnehmen, hatte aber wegen der Grenzkontrolle und dem Braunkohle-Siff dann doch die Schnauze voll - ausserdem hatte ich ja noch Schule in Bremen, war also allenfalls jeweils nur ein paar Ferientage in Berlin - und dann hatte ich ja meist schon im Westen was Anderes vor.
Jedenfalls hätte ich besser an einem der neu eröffneten Grenzübergänge einreisen sollen, nicht an einem der alten Garde. Verwandte und Bekannte, denen ich daraufhin mein Grenzerlebnis erzählte - und die ebenfalls kurz nach der Öffnung schon drüben waren - wunderten sich, dass teils doch noch so streng kontrolliert wurde und empfahlen mir, wenn, dann woanders rüber zu gehen... Und heute, 2021, ist es keinesfalls mehr so sicher, dass man z.B. als Berliner einfach so jederzeit nach Brandenburg einreisen darf oder nach Niedersachsen oder nach Bayern oder auch nur sonstwohin (andersherum sozialistisch hereinkommen und sich niederlassern darf natürlich jeder jederzeit aus der ganzen Welt - wer sind wir, das nicht zu gestatten), denn irgendwas wird es schon geben, was das Verbot rechtfertigt: Viren, Klima - oder was auch immer!
Wie sang man Anfang der 80er so treffend: "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, ES GEHT VORAN!!!" Na dann! Schaun mer mal...





















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Hier nun die durchgehende Fahrt, 34 min. Gedreht mit Video-Sony-8mm-Kamera "2CCDM8E".
Originale Analog-Auflösung: 320x240 (im weitesten Sinne und somit hier in etwas mehr als der vierfachen Kantenlänge dargestellt).
25fps, mono. Digital stabilisiert und etwas aufbereitet. mp4/ogv.


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Für die folgende Haltestellen-Tabelle als Leser-Post ein Dankschön an Michael Witt!


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Letzte Site-Aktualisierung: 16.5.2021